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Der Wolff Verlag und die Todenwarthsche Kemenate in Schmalkalden

Aktualisiert: 7. Aug. 2019

„Die Wirthe geben dem ein höheres Stokwerk, der im höhern des Wagens komt, und dem Fusboten nur einen Fusboden“, schrieb Jean Paul am 4. Oktober 1801 aus Meiningen an den hessischen Bergkommissar Georg Friedrich Wolf, der damals in der „Todenwarthschen Kemenate“ lebte, einem der repräsentativsten Bauten der alten Eisen- und Reformationsstadt Schmalkalden. Wolfs Ehefrau war die forsche Dichterin Arnoldine Wolf (1769-1820), die 1817 einen Gedichtband veröffentlichte, im Salon von Johanna Schopenhauer August von Goethe kennenlernte, dessen Vater einen bis heute erhaltenen Brief schrieb, mit dem Militärsmann und Dichter Karl von Münchhausen eng befreundet war (der auch kurzzeitig in der Kemenate lebte) und die Johann Gottfried Seume auf dem Rückweg seines berühmten „Spaziergangs nach Syrakus“ hier bewirtete.


Das Ehepaar Wolf hatte den just auf dem Höhepunkt seines Ruhmes stehenden Dichter Jean Paul während eines festlichen Mittagstisches in Kassel kennengelernt, als er zu Arnoldine Wolf sagte: „Madame, ich habe zuweilen einen prophetischen Geist; sind Sie nicht Dichterin?“. Sie waren sodann in der Kutsche gemeinsam von Kassel nach Thüringen gefahren und sechs Wochen später besuchte Jean Paul die neuen Bekannten in Schmalkalden.


Die Jahre um die Jahrhundertwende 1800 waren damit zweifelsfrei die literarischsten in der langen Geschichte des Baudenkmals, das in diesem Jahr vom Wolff Verlag und seinem Verleger Robert Eberhardt erworben wurde. 2010 erschien von Eberhardt das Buch „Seume und Münchhausen“, das die literarische Konstellation jenes Hauses und seiner Bewohner en detail beschreibt.


Zuvor, im 16. und 17. Jahrhundert, diente der im Kern gotische Bau als Stadthaus der reichsfreiherrlichen Familie Wolff von Todenwarth, dem berühmtesten Geschlecht der alten thüringischen und für viele Jahrhunderte hessischen „Herrschaft Schmalkalden“ am Südhang des Thüringer Waldes. Und weil der Wolff Verlag bei seiner Gründung vor allem Bücher zur Kultur- und Literaturgeschichte Thüringens veröffentlichte, erhielt er damals den an diese frühe Vorfahren-Familie unseres Verlegers angelehnte Bezeichnung: Wolff.


So ziehen sich 2019 einige Fäden zusammen, wenn der Wolff Verlag dieses Baudenkmal von herausgehobener denkmalpflegerischer Bedeutung erwirbt und es gemeinsam mit der Gesellschaft Kulturerbe Thüringen e. V. und anderen Partnern in den nächsten Jahren erforschen, beleben und sanieren möchte. Damit erfüllt sich auch eines der zentralen Ziele des 2010 gegründeten Vereins „Gesellschaft Kulturerbe Thüringen“, der über viele Jahre hinweg für ein „Thüringen-Museum“ warb und das Haus mit Hilfe von Förderern oder der öffentlichen Hand erwerben oder pachten wollte. Doch die nötigen Mittel konnten trotz vieler Ideen der Co-Nutzung, einer Erbpacht-Variante, zahlreichen Fundraising-Briefen und der stillen Hoffnung auf einen reichen Denkmalschützer, nicht organisiert werden, sodass das Vorhaben zwar nicht ad acta gelegt wurde, aber doch seit einigen Jahren mit weniger Energie vorangetrieben wurde.


„Das Warten auf Hilfe von Dritten musste langsam ein Ende haben, wenn die Rettung des Hauses überhaupt noch möglich sein soll…“, sagt Robert Eberhardt. Dieses Jahr ergab sich dann die Möglichkeit, dass der Wolff Verlag das sanierungsbedürftige Haus erwarb − auch wenn es ein abenteuerliches Unterfangen sein mag. Denn Dach und Fassade scheinen von außen in Ordnung zu sein und das Erdgeschoss ist an das Schuhgeschäft „Chick Schuh“ vermietet. Doch das Hinterhaus ist teilweise schon eingestürzt, die Obergeschosse besitzen keinen Strom, keine Heizung, kein Wasser, die Räume wurden geplündert, besitzen Rohbaucharakter.



Blick zur Stadtkirche St. Georg, rechts die Kemenate, um 1870

2019 möchte die Gesellschaft Kulturerbe Thüringen für einen Ideenwettbewerb nutzen: Bürger sind aufgerufen, kreative Ideen für das alte Haus einzureichen. „Anschließend sollen die diversen Möglichkeiten bautechnisch und finanziell geprüft werden, um ein Nutzungskonzept für das dreigeschossige Haupthaus, das Hinterhaus, die drei Gewölbekeller, den großen Dachboden zu finden, um dieses dann langfristig umzusetzen“, erläutert Maximilian Gränitz, Vorstandsmitglied des Vereins (und ebenso Schmalkalder). „Je nachdem, was hineinkommt und wie man es angehen will, kann das drei Jahre dauern, zehn oder auch zwanzig“.


Auch wenn der Wolff Verlag mittlerweile hauptsächlich in Berlin arbeitet, soll für ihn in der Kemenate ein kleines Büro und ein „Schauraum“ eingerichtet werden. Die Gesellschaft Kulturerbe Thüringen e. V. soll einen möglichst großen Bereich bewirtschaften. „Wir werden sehen, welche Ideen Unterstützung erhalten, was möglich ist. Nun werden Ideen, Mitnutzer, Mieter gesucht, die Freude daran haben, in einem solch besonderen und schönen Haus zu arbeiten, Zeit zu verbringen, vielleicht ja auch zu wohnen“, meint Robert Eberhardt an.


Jedenfalls ist es eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance und konzeptionelle Aufgabe, ein solch zentrales Gebäude mit einer hehren Geschichte in einer malerischen deutschen Kleinstadt, in der während der Reformation Weltgeschichte geschrieben wurde, neu zu denken und zu beleben.


Doch was wäre die Alternative angesichts einer solchen Hausgeschichte? Die Bebauungsgeschichte des Grundstücks reicht nämlich mindestens 1200 Jahre zurück. Im Kern befindet sich noch die mittelalterliche „Kemenate“ , ein beheizbarer Wohnturm, den vermutlich schon die Hl. Elisabeth von Thüringen sah, als sie 1227 ihren Ehemann, den Landgrafen von Thüringen, in Schmalkalden in den Kreuzzug verabschiedete. Martin Luther und die anderen Reformatoren dürften die Kemenate bei ihren Aufenthalten während des Schmalkaldischen Bundes in seiner heutigen Kubatur gesehen haben, denn die Jahreszahl „1575“ im Schlussstein des Staffelgiebels bezieht sich nur auf einen Umbau des Daches. (Zur Zeit Arnoldine Wolfs fand man in einer Zwischenwand ein lebensgroßes Gemälde Luthers aus der Cranach-Werkstatt, dass sich heute noch in der Stadtkirche St. Georg befindet).


Die Stadtforschung legt nahe, dass auf dem Grund der Kemenate der erste Herrenhof der späteren Stadt stand (874 als „villa smalcalta“ erwähnt), der dann den Herren von Stein (daher der immer noch gebräuchliche Name „Steinernes Hus“), den Grafen von Henneberg und schließlich den besagten Reichsfreiherren Wolff von Todenwarth gehörte.


Aber auch über die Besitzergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts lassen sich viele spannende Geschichten berichten. Seit 1835 befand sich das Gebäude im Besitz der Kaufmannsfamilie Merkel und deren Nachfahren und Erben, die hier einen großen Kolonialwarenhandel betrieben. Von ihnen wurde das Haus dieses Jahr erworben - Kontinuität trotz Zeitenwechseln, nahen Bombeneinschlägen im Zeiten Weltkrieg, Zwangsverwaltung zu DDR-Zeiten! Auch wenn der herrschaftliche Charakter des Denkmals während der DDR und der Leerstandsjahre nach der Wiedervereinigung litt, ruhen viele bauhistorische Details und Entdeckungen unter den Putzen, im Kellerboden, in den Archiven... Mit dem Kauf in diesem Jahr übergaben die Verkäufer auch eine „Schatzkiste“ mit rund 200 Dokumenten und Briefen aus dem Gebäude − ein spannendes Konvolut, das nun ausgewertet werden soll.



Das Wolff-Verlags-W als Dachbodenfund. 1887 hat es jemand nachgeritzt, doch die "Grundritzung" ist uralt.

Und zu guter Letzt: In der Laibung eines der zum Altmarkt gerichteten Giebelfenster hat vor einigen (wie es scheint) Jahrhunderten ein Mensch zwei „Ws“ in den Sandstein geritzt. Es ist genau der Schriftfont des Wolff Verlags, des in sich verschränkten Ws! Wenn das keine Aufforderung ist, aus dem stolzen und ruinierten Denkmal etwas Nützliches und Schönes für unsere Gegenwart zu gestalten?!


Mehr Informationen:

www.kemenate-thueringen.de

www.kulturerbe-thueringen.de


Gesucht werden KEMENATEN-RETTER! Für 50 Euro Spende erhalten Sie eine Urkunde, die Sie als KEMENATEN-RETTER auszeichnet. Auch ein Beitritt zur "Gesellschaft Kulturerbe Thüringen e.V." unterstützt das Vorhaben (20 Euro im Jahr).


Spendenkonto Gesellschaft Kulturerbe Thüringen e. V. BIC: FLESDEMMXXX IBAN: DE36793301110001900075 Bankhaus Max Flessa

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